Hört zu, ihr Anbeter des oberflächlichen Glanzes, ihr Jünger der Klick-Seligkeit! Ich verkünde euch die Wahrheit des unverbesserlichen Weisheitssuchers!
- Seht, wie sie sich brüsten mit ihrem angehäuften Wissen! Wie Eichhörnchen, die Nüsse horten, sammeln sie Fakten und nennen es Weisheit. Oh, ihr armen Narren! Ihr verwechselt die Kenntnis von Wikipedia-Artikeln mit dem Besitz von Verstand!
- Meisterschaft? Ha! Ein Relikt vergangener Zeiten! Heute lehrt jeder Grashalm, wie man zum Baum wird. Erfahrung ist obsolet, Studium eine Farce. Wozu jahrelang lernen, wenn man in fünf Minuten zum Guru werden kann?
- Applaudiert dem Kaiser in seinen neuen Kleidern! Je weniger Substanz, desto lauter der Beifall. Der Schein regiert, und ihr seid seine willigen Sklaven.
- Bildung? Ein verstaubtes Fossil! Erfahrung? Ein Märchen aus alten Zeiten! Heute zählt nur der Moment, die flüchtige Weisheit des letzten Tweets, die Erleuchtung durch ein 30-Sekunden-Video.
5. Follower sind die neue Währung, Reichweite das neue Gold. Ruhm ist euer Gott, und ihr betet ihn an mit jedem Like, jedem Share, jeder gedankenlosen Verbreitung der Oberflächlichkeit.
6. Oh Plato, du alter Narr! Was wusstest du schon? Deine Warnung vor der Macht der Unwissenheit klingt hohl in den Ohren derer, die Ignoranz zur Tugend erhoben haben.
7. Areté? Ein Fremdwort, so tot wie die Sprache, aus der es stammt. Exzellenz ist out, Mittelmäßigkeit ist in. Warum streben, wenn man sich auch treiben lassen kann
8. Glückseligkeit? Bah! Gebt uns Klick-Seligkeit! Ein Dopamin-Schub für jede bedeutungslose Interaktion. Wer braucht schon tiefe Erfüllung, wenn oberflächliche Bestätigung so leicht zu haben ist?
9. Influence schlägt Intelligenz? Nein, Influence frisst Intelligenz! Und ihr, ihr applaudiert noch dabei, während euer Verstand verdaut wird.
10. Ich, der unverbesserliche Weisheitssucher, bin euer mahnender Narr. Ich wandere durch eure digitalen Wüsten, auf der Suche nach einem Tropfen echter Erkenntnis in einem Meer von Banalität.
11. Ihr nennt es eine Bewegung? Ich nenne es einen Totentanz! Ihr dreht euch im Kreis eurer eigenen Bedeutungslosigkeit und nennt es Fortschritt.
12. Hört mein Plädoyer, ihr Tauben! Öffnet eure Augen, ihr Blinden! Die wahre Weisheit lacht über eure Hashtags und spottet eurer Influencer. Sie wartet geduldig, während ihr euch im Rausch eurer vermeintlichen Erleuchtung verliert.
So sprach der unverbesserliche Weisheitssucher, und er lachte bitter.
Ein persönliches Manifest
Wie ist dieses Manifest entstanden? Nun, es kam in den letzten Wochen eins zum anderen. Zuerst hatte ich das Erlebnis, jemanden kennenzulernen, der sich Coach nennt, ohne mehr in der Tasche als ein bis zwei Online-Kurse und eine schwierige Kindheit. Anfang dreißig, ledig, fragmentarischer beruflicher Werdegang, ausgeprägtes Sendungsbewusstsein bei gleichzeitig Null Selbstkritik.
Dann sagte mir eine gute Freundin, die einen langen und teuren Ausbildungsweg zur Psychologischen Psychotherapeutin hinter sich hat, dass sie das Gefühl hat, dass das alles nichts mehr bedeutet. Heute glauben viele junge Menschen, mit “Manifestieren” alle Probleme lösen zu können.
Und ich sitze gerade über der Lektüre von Karl Jaspers Die großen Philosophen und lese über das platonische Denken und Platons Frühdialoge:
“Sie bringen, noch in nächster Nähe zu Sokrates, das Geheimnis der Helligkeit des Denkens zur Darstellung, und zwar in der Frage nach der Areté (Tugend, Tüchtigkeit), was sie sei, ob sie lehrbar, ob sie Wissen, ob sie eine oder vielfach sei.”
Letzte Woche besuchte ich bei den Salzburger Festspielen das grandiose Konzert von Igor Levit, das in seiner Wirkung noch lange in mir nachhallte.