Die südindische Affenfalle:
Was uns hindert, gute Entscheidungen zu treffen
Ich lese gerade zum wiederholten Mal den philosophischen Bestseller Zen – oder die Kunst, ein Motorrad zu warten von Robert Pirsig. Nun, ich bin weder Zen-Buddhist noch habe ich je ein Motorrad besessen. Was mich jedoch interessiert, ist die Auseinandersetzung mit der Frage: Was macht ein gutes Leben aus?
“Das Buch erschien zu einer Zeit kultureller Umwälzungen in der Frage materiellen Erfolgs. Die Hippies wollten nichts davon wissen. Die Konservativen verstanden die Welt nicht mehr. Materieller Erfolg war der amerikanische Traum. Millionen europäischer Tagelöhner hatten sich ihr Leben lang danach gesehnt und waren nach Amerika gekommen, weil sie ihn hier zu finden hofften – in einer Welt, in der sie und ihre Nachkommen endlich genug zum Leben haben würden. Und nun warfen ihre verwöhnten Nachkommen ihnen diesen ganzen Traum vor die Füße, ließen kein gutes Haar daran. Was wollten sie?”
Dieses Buch bietet eine ernsthaftere Alternative zum materiellen Erfolg an. Es erweitert die Bedeutung von „Erfolg“ auf etwas Größeres als nur den bloßen Versuch, eine gute Stellung zu finden und sich nichts zuschulden kommen zu lassen. Es geht um mehr als bloße Freiheit. Es setzt ein positives Ziel, auf das man hinarbeiten kann, ohne sich dabei einzuengen.
Das, so scheint mir, ist der Hauptgrund für den Erfolg des Buches. Es traf sich, dass die ganze Kultur genau nach dem auf der Suche war, was dieses Buch anzubieten hat. In diesem Sinne ist es ein Kulturträger.
Pirsigs Überlegungen führen ihn fast am Schluss des Buches zur Idee, ein neues akademisches Lehrfach zu begründen: Mut-Theorie.
“Muttheorie – Seminar über affektive, kognitive und psychomotorische Blockaden in der Wahrnehmung von Qualitätsbeziehungen.”
Hier wird es für uns besonders interessant, denn wir alle müssen Entscheidungen treffen und werden von Entscheidungen beeinflusst. Pirsig spricht von einer Art Entmutigung, die unsere affektive Wahrnehmung blockiert. Karl Valentin beschrieb das so:
“Mögen hätt’ ich schon wollen, aber dürfen hab’ ich mich nicht getraut.”
Diese Blockade nennt Pirsig „Wertstarrheit“ und veranschaulicht sie mit der altindischen Affenfalle:
“Die Falle besteht aus einer ausgehöhlten Kokosnuss, die an einen Pfahl angebunden ist. In die Kokosnuss kommt eine Handvoll Reis, nach dem der Affe durch ein kleines Loch greifen kann. Das Loch ist groß genug, dass er die Hand hineinstecken kann, aber zu klein, um die Faust mit dem Reis wieder herauszuziehen. Der Affe greift hinein und ist auf einmal in der Falle gefangen – aber nur wegen seiner Wertstarrheit. Er ist außerstande, den Reis neu zu bewerten. Er vermag nicht zu erkennen, dass Freiheit ohne Reis mehr wert ist als Gefangenschaft mit Reis. Die Dorfbewohner kommen, um ihn zu packen und fortzuschleppen. Sie kommen näher… immer näher … jetzt!”
Lieber Leser, liebe Leserin, nehmen wir an, Sie sind Coach oder Vorgesetzter dieser Kreatur. Welchen Rat würden Sie ihm geben?
Pirsig gibt die Antwort:
“Nun, ich glaube, Sie könnten ihm genau das sagen, was ich über die Wertstarrheit gesagt habe, nur vielleicht mit etwas mehr Dringlichkeit. Es gibt eine Tatsache, die der Affe kennen sollte: Wenn er die Faust aufmacht, ist er frei. Aber wie soll er hinter diese Tatsache kommen? Indem er die Wertstarrheit aufgibt, die den Reis höher einschätzt als die Freiheit.”
Wenn wir uns von dieser Geschichte angesprochen fühlen, können wir unsere eigenen „Affenfallen-Momente“ reflektieren. Johann Gottlieb Fichte, der deutsche Idealist, schrieb einst:
Was für ein Mensch man sei, entscheide darüber, welche Philosophie man wähle.
Das bedeutet, jeder von uns braucht seine eigene Lebensphilosophie. Aber was machen wir dann damit?
Ich fühle mich dem Gedanken der Stoiker verbunden, dass nicht derjenige Philosoph ist, der über Philosophie schreibt, sondern der, der ein philosophisches Leben führt. Es wäre hilfreich, unser eigenes Lebenskonzept einmal auf den Prüfstand zu stellen. Die alten Stoiker wie Marc Aurel und Seneca fanden, dass das wesentliche Ziel des Menschen die Seelenruhe sein sollte.
Wenn wir uns dem anschließen, können wir weiter fragen, aber das ist eine andere Geschichte…